Reisefreiheit in Zeiten von Corona

Im Corona-Jahr 2020 ist der lang ersehnte Sommerurlaub für die Meisten zum faulen Kompromiss geworden. Flugreisen fielen weitgehend flach und wer eine Pauschalreise buchte, wusste nie, ob die tatsächlich stattfinden würde oder ob er am Ende auf einem Gutschein sitzenblieb. Außerdem machten tausend Regeln den Urlaub nicht wirklich zu einem Vergnügen. Da war man mit einem Wohnmobil schon besser dran und konnte so manches Verbot elegant umgehen.

Während der zweifelhafte Lockdown Hunderttausende von Existenzen vernichtet, Millionen Arbeitslose produziert hat und das Land für Jahre in die Rezession stürzen wird, blicken die Hersteller von Freizeitfahrzeugen auf eine Saison 2020 zurück, die ihnen eine volle Auslastung der Produktion und satte Umsätze brachte. Die Aufträge lagen schon Anfang des Jahres weit über den Vorjahren und am Ende kristallisierte sich ein herausragendes Umsatzplus im Bereich von 30 % heraus. Viele Leute kauften sich eben in Zeiten der Verunsicherung kein neues Auto, sondern gönnten sich stattdessen ein schickes Wohnmobil.

Eine Entscheidung, die sich spätestens in der Jahresmitte als genau richtig herausstellte. Während viele Grenzen noch bis in den Juni hinein geschlossen blieben und niemand so recht wusste, welche neuen Einschränkungen die kommende Woche mit sich bringen würde, war ein Urlauber mit eigenem Hotelzimmer jederzeit frei in seinen Entscheidungen und konnte flexibel auf die sich ständig verändernde Lage reagieren. 

So manch einer nutzte die gegebene Situation, um einmal quer durch Deutschland zu fahren und all die Orte zu besuchen, die er eigentlich schon lange im Hinterkopf gehabt hatte. Auf den deutschen Ferienstraßen sah man daher mehr Wohnmobile als in all den Jahren zuvor. Alle Städte, die einen touristischen Besuch wert sind, zeichneten sich durch überfüllte Wohnmobil-Standplätze aus, auf denen die Fahrzeuge Blech an Blech standen, weil eben Viele genau dieselbe Idee hatten. 

Nur die Strände an Nord- und Ostsee waren eigentlich im mäßigen Sommer 2020 für einen erholsamen Urlaub tabu. Weil die meisten Menschen recht phantasielos sind und immer genau das tun, was die meisten anderen auch tun, waren die Campingplätze in Meeresnähe schon im Mai völlig ausgebucht, alle Ferienwohnungen belegt und Hotelzimmer nur noch vereinzelt zu haben. Da musste man mit dem Wohnmobil nicht auch noch hinfahren. 

Wobei die nochmal größer gewordene Wohnmobil-Flut so manche Gemeine in einer touristisch interessanten Region 2020 vor unübersehbare Probleme gestellt hat. Zwar war schon seit Jahren erkennbar, dass die Zahl der Wohnmobile beständig zunimmt und immer mehr Menschen diese Urlaubsfreiheit bevorzugen. Doch an der Küste und anderswo hat man bisher nur sehr zögerlich auf diese Veränderung des Reiseverhaltens reagiert. Da wurde lediglich hier und dort ein Stück Parkplatz für Wohnmobile freigegeben und das war’s dann auch schon. Motivation dafür war meist nur die Tatsache, dass man für die größeren Gefährte auch höhere Parkgebühren verlangen konnte. Nicht selten stand an der Einfahrt auch noch ein Schild, nach dem Übernachten auf dem Parkplatz grundsätzlich verboten sei. Herzlich willkommen sieht irgendwie anders aus. 

Im Sommer 2020 setzten sich jedoch die meisten Wohnmobilisten schlicht über solche lebensferne und zumeist rotgrünen Denkern entsprungenen Regeln hinweg. Sie parkten einfach, wo gerade Platz war und stellten die betroffenen Gemeinden allein durch ihre zahlenmäßige Präsenz vor ein ernsthaftes Problem. Grüne Weltverbesserer haben ja ohnehin etwas gegen Autos und gegen Wohnmobile erst recht. Rot Sozialisten wiederum würden am liebsten alles regeln, bis nichts mehr geht. Und die Corona-Fanatiker dachten eigentlich daran, die ganze Küste wieder für den Tourismus zu sperren, weil es dort zuging, wie es eben im Sommer zugeht. Vielleicht lag es ja an der allgemeinen Urlaubszeit in den Amtsstuben, dass man sich am Ende nicht einigen konnte. 

Auf jeden Fall gab es eine Gruppe unter den Urlaubern, die sich am wenigsten gängeln ließen. Wohnmobilisten genossen einfach den Maulkorb-freien Urlaub in den eigenen vier Blechwänden und erfreuten sich der Tatsache, dass nichtsesshafte Menschen für Behörden schon immer schlecht zu greifen waren. Dabei machten sie sich einfach die Tatsache zunutze, dass ihr Feriendomizil ja aus amtlicher Sicht ein ganz gewöhnliches Fahrzeug ist. Als solches kann es überall parken, wo das nicht ausdrücklich verboten ist. Und man kann sich auch darin aufhalten, denn das darf man in jedem Fahrzeug. Man kann sogar darin schlafen, um die Fahrtüchtigkeit wieder herzustellen. Und man muss keine Maske tragen, ganz gleich wie draußen auf der Straße gerade die Gesetzeslage ist. 

Was jedoch in Corona- und künftigen turbulenten Zeiten ein unschätzbarer Vorteil ist, ist die Tatsache, dass man mit einem Wohnmobil äußerst flexibel ist und sich die Schlupflöcher aussuchen kann, die sich bei aller Regelungswut immer wieder ergeben. So wäre zum Beispiel der Sommer 2020 eine ideale Gelegenheit gewesen, um die lange ersehnte Skandinavienreise anzugehen. Man musste nur in Norwegen einreisen und über Schweden wieder ausreisen. Norwegen war nämlich für deutsche Urlauber wieder offen, während man die angeblich völlig verseuchten Schweden lieber draußen haben wollte. 

Ich selbst hatte schon im vergangenen Jahr eine Reise quer durch das französische Kernland ausgearbeitet, die über die Auvergne und das Zentralmassiv bis zu den Pyrenäen und dann über das Medoc wieder nordöstlich nach Deutschland zurück führen sollte. Im Mai habe ich dann insgeheim umdisponiert und mir die Deutsche Alpenstraße als heimische Alternative vorgenommen. Doch als ein paar Tage vor der geplanten Abreise der Weg nach Westen wieder frei war, blieb dann doch alles beim Alten. 

Was mich dann doch gewundert hat, ist die Tatsache, dass von der Grenzöffnung nach Frankreich anscheinend überhaupt keine Sogwirkung ausgegangen war. Das lag vielleicht daran, dass die meisten Deutschen gerne auf Nummer Sicher gehen und ihren Urlaub schon lange im voraus planen. Da schied Frankreich eben lange Zeit aus, denn es war erst Anfang Juni abzusehen, dass die Grenzschließung bald aufgehoben werden würde. So richtig sicher war es aber erst wenige Tage zuvor und ab dem 15. Juni konnte man schließlich wieder völlig unbehelligt ins Elsass und die dahinter liegenden Regionen einreisen. 

Auf deutsche Urlauber traf ich auf den Campingplätzen entlang der Route nur vereinzelt. Am Lac Chambon in der Auvergne hatte ich ein nettes Gespräch mit einem deutschen Paar. Oben auf dem Wohnmobil-Parkplatz an der Cirque de Gavarnie hatte noch ein anderes Mobil den mühsamen Weg ins Hochland der Pyrenäen gefunden. Ansonsten gab es ein paar Schweizer, vereinzelte Holländer und ansonsten ausschließlich Franzosen. Obwohl in Frankreich bereits Schulferien waren, war der Ansturm auf die Campingplätze sehr verhalten. Der holländische Besitzer eines sehr schönen Campingplatzes in der Nähe von Villefanche-de-Conflent (dort fährt der lohnenswerte Petit Train Jaune ab) sah ziemlich betrübt auf sein weitgehend leeres Areal und fragte mich, ob es anderswo genauso ruhig sei.

Manchmal lohnt es sich eben, sich antizyklisch zu verhalten und genau das zu tun, was die Masse der Anderen eben nicht tut. Auf den Campingplätzen im Voralpenraum wäre es knackvoll gewesen und wir hätten uns unter den Scharen deutscher Urlauber wiedergefunden, die es im Jahr von Corona für besser hielten, sich den obligatorischen Maulkorb umzubinden und Urlaub im eigenen Land zu machen. Den mussten wir in Frankreich nur in einem Museum vor die Nase binden. Ansonsten ging man mit der lästigen Binde so um, wie es Franzosen eben tun, wenn sie mit einem Akt der Regierung nicht ganz einig gehen. Das Ding wurde trotz allgegenwärtiger Hinweise eher widerwillig getragen und diente nicht selten lediglich als Kinnschutz. 

Da ich zu den vergesslichen Menschen zähle, war mein Mundschutz meist in der falschen Tasche. Aber ich kam trotz dieser Nachlässigkeit überall durch, ohne dass mit jemand bös ansah oder gar als potenziellen Mörder beschimpfte, wie mir das in Deutschland schon passiert war. Irgendwie liebe ich die Franzosen, obwohl ich ihre Sprache nur unzureichend spreche. Sie haben sich seit der Revolution ein leidenschaftliches Liberté bewahrt und ziehen auch schon mal gelbe Westen an, um sich gegen die Obrigkeit zur Wehr zu setzen. 

Schon deshalb habe ich meine Tour durch Frankreich als eine Flucht aus dem nervigen Deutschland empfunden, in dem man lieber einen totalen Zusammenbruch von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in Kauf nimmt, anstatt den Virus als ein Naturereignis zu verstehen, das nun mal ein paar Leute, die körperlich ohnehin an der Grenze sind, nicht überleben werden.